EinleitungEnsembles & InstrumenteForm, Rhythmus & TempoSèlèhLaras & PathetLernenZusammenspiel
Gamelan-Muenchen.deGamelan.atLinks

home

dhing-Dhong

Eine Einführung in die Gamelan-Musik von Surakarta und Umgebung

Vorbemerkung

Dies sind die Anfänge einer Darstellung zentraljavanischer Gamelan-Musik mit Schwerpunkt auf der Tradition von Surakarta (= Solo). Das langfristige Ziel ist eine relativ breit angelegte Einführung mit besonderem Augenmerk auf Spielpraxis. Hintergrund bilden die Erfahrungen, die ich in 5 Jahren Leben und Gamelanstudium in Solo und Umgebung gemacht habe. Ich wende mich vor allem an Leser, die dieser Musik aktiv nachspüren und sie erlernen möchten. Meine Eindrücke sind zunächst einmal subjektiv, ich bemühe mich aber den Grad zu vermitteln, in dem ich mich in Übereinstimmung mit Anderen glaube (Literaturverweise stehen in der Prioritätenliste noch ziemlich weit unten. Soweit ich mir jedoch bewusst bin, die spezielle Auffassung anderer Personen wiederzugeben, werde ich darauf hinweisen).
Ich schreibe im Netz, weil ich von Beginn an auf Rückmeldung interessierter Leser hoffe, und weil ein Teil der Kapitel Grundlagen und Erläuterungen für die Site von Gamelan Java München e.V. bereitstellt. Ich hoffe, dass gemäß dem dhing-Dhong-Prinzip vom leichten zum schweren im Laufe der Zeit eine immer tiefer eindringende Darstellung dieser Musik entstehen kann. Anregungen, Fragen, Kritik, Hinweise auf Lücken und Korrekturen sind erwünscht, es würde mich sehr freuen, wenn sich diese Darstellung aus dem Zusammenwirken vieler Interessierter entwickeln könnte. Mir ist bewusst, dass die Darstellung bisher eine nicht unbedingt einfach zu lesende, gewissermaßen komprimierte Darstellung meiner Hauptthesen zu javanischer Gamelan-Musik bildet - ich hoffe das in den kommenden Monaten zu korrigieren und dem angestrebten Einführungscharakter durch eine systematischere und konkretere Darstellung des Gegenstandes besser gerecht zu werden. Diese Darstellung versucht sparsam mit Termini der westlichen Musiklehre umzugehen, da diese oft musikalische Vorstellungen implizieren, die der fremden Gamelan-Musik unangemessen sind. Leider bedingt das eine häufige Verwendung javanischer Ausdrücke, die ich mich zwar erklärend einzuführen bemühe, die sich aber vielleicht nicht schnell genug einprägen. Ich hoffe später einmal ein Register anzufügen, das ein schnelles Nachschlagen unbekannter Begriffe erlaubt. Bis dahin mag vielleicht die Suchfunktion des Browsers helfen, diejenige Stelle im Text zu finden, in der ein Ausdruck erläutert wird. Ferner sei auf die Link-Sektion verwiesen. Ein englischsprachiges Register von Gamelan Grundbegriffen bietet Barry Drumond, eine elementare Erklärung verschiedener Typen von Gongperioden, sowie die Erläuterung der dabei verwendeten Termini findet sich bei Rob van Albada (holländisch, .doc). Die in diesen Text eingearbeiteten Links auf Instrumentenbeschreibungen und mittelbar auch auf Multimediastreams verweisen auf das Virtual Instrument Museum der Wesleyan-University. In allen Streams spielt Sumarsam, meist eine Gongphrase aus Ladrang Wilujeng.

Rainer Schütz
www.bagong.de

Einleitung

Gamelan, hochjavanisch gangsa (auch 'Bronze'), ist an sich die generische Bezeichnung der verschiedenen Instumentalensembles, die in vielen Bereichen der Musik Javas verwendet werden. Es ist wohl der nachhaltige Eindruck, den die eigentümlich geformten, z.T. sehr großen, überwiegend bronzenen Instrumente dieser Ensembles auf westliche Beobachter gemacht haben, der dazu führte, einfach von Gamelan-Musik zu sprechen. Strenggenommen ist das nicht richtig, denn nicht alle Musik Zentraljavas verwendet Gamelan, und in den letzten Jahrzehnten wird auch Musik mit Gamelan gespielt, von denen man weiß, dass sie zumindest in ihren Ursprüngen nicht den Genres bodenständiger javanischer Musik angehören. Der Ausdruck Gamelan-Musik kann darüber hinaus dazu verleiten, diese Musik als primär instrumental aufzufassen, was eine undifferenzierte Vereinfachung wäre. In den letzten Jahrzehnten wächst das Wort karawitan zunehmend in die Rolle der generischen Bezeichnung für traditionelle Musik Javas. Besonders beim kulturüberschreitenden Gespräch über Musik ist es schwierig einen javanischen Begriff zu finden, der die Breite des westlichen Konzeptes Musik wiederspiegelt, so dass der Begriff karawitan eine Lücke füllen kann. Allerdings handelt es sich nach meinem Eindruck nicht um eine bodenständige Verwendung des Begriffes, sondern um eine Neubelebung eines an sich esoterischen, der Kraton-Sprache entstammenden Begriffs relativ unklarer Bedeutung, die dem Sog eines modernen, auf westlichen Konzepten basierenden Diskurshorizontes nachgibt. Im heutigen Solo steht der Begriff karawitan interessanterweise oft in direkter Opposition zum Wort Musik, wobei karawitan traditionelle javanische Musik bezeichnet und musik (indon./jav.) auf die Bezeichnung westlicher Musik eingeent ist. In der Frühzeit der Popularisierung des Begriffes karawitan, die in die Phase der Gründung von Kokar ('Konservatori Karawitan') nach Ende des Unabhängigkeitskrieges fallen dürfte, gab man noch (wohl normativ) eine viel breitere Vorstellung, vergleichbar mit 'schönen Künsten' (unter bewusstem Einschluss von Tanz, wayang und z.B. auch bathik), als dessen Bedeutung an. In den darauffolgenden Jahren engte sich die Bedeutung dann aber mehr oder weniger auf 'traditionelle Musik aus Java' ein, wobei im allgemeinen impliziert wird, dass es sich um Musik aus der Sphäre der javanischen Hoch- oder Hofkultur handelt.

Auch von javanischen Musiktheoretikern wurde verschiedentlich der Versuch gemacht, eine Definition des Spezifischen javanischer Musik anzubieten. Dabei wurde im allgemeinen versucht einen wesenhaften Kern zu entdecken, durch den sie sich erfassen ließe. Ein nicht leicht von der Hand zu weisendes Kriterium von Martopangrawit, dem wohl angesehensten javanischen Musiktheoretiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war das Stimmungssystem javanischer Musik. Dieses stellt eine sehr interessante Eigentümlichkeit dar und hat zudem den Vorteil, von der Bindung an das Gamelan-Instrumentarium unabhängig zu sein, denn es wird auch in diesen Stimmungen gesungen. Das Thema der mit gängigen westlichen Modellen inkompatiblen Gamelan-Java-Stimmungen, deren zwei Grundausprägungen laras sléndro und laras pélog, das Phänomen minir oder miring, in dem sich sléndro und pélog zu mischen scheinen, und besonders die Tatsache, dass keine zwei Gamelan-Ensembles die gleiche Stimmung aufzuweisen scheinen, übte seit den Anfängen westlicher Beschäftigung mit javanischer Musik eine starke Faszination aus. Allerdings ist es seit der Beschreibung des verwirrenden Status quo, etwa durch die vergleichende Vermessung dutzender Gamelan-Ensembles, kaum zu einem qualitativen Fortschritt für das Verständnis von laras gekommen. Zu allem Unverständnis gesellt sich die frustrierende Erfahrung, dass diese Stimmungen auch für die praktischen Ausführung nicht leicht zu erlernen sind - selbst Javaner, die nicht in der unmittelbaren Nähe der Tradition aufgewachsen sind, können sléndro und pélog oft nicht richtig intonieren. Musiker können in der Regel sicher erkennen, ob es sich um eine bodenständig javanische, oder eine angelernte Intonation handelt. Allerdings ist hier eine gewisse Vorsicht geboten, denn der Aspekt Stimmung kann in der praktischen Musikausübung stets nur im Verbund mit anderen Momenten, etwa der musikalischen sowie sprachlichen Artikulation, der Phrasierung, der Ornamentierung, der spezifischen Variabilität des Vortrages, der Klangfarbe und anderen Merkmalen vorgetragen werden. Von daher dürfte es auch für javanische Musiker nicht einfach sein, den Eindruck des Fremdartigen oder Falschen isoliert auf ein einziges der genannten Merkmale zurückzuführen.

Aufbau und Instrumente des Gamelan

Das bekannteste, und auch das verehrteste Instrument im Gamelan ist der große Gong (gong gilt als Lehnwort aus dem Javanischen). Er erreicht in Java manchmal einen Durchmesser von einem Meter (in seltenen Fällen sogar mehr) und wiegt dabei gut 50 kg. Der Klang ist sehr tief und langanhaltend und verfügt über eine Schwebung langsamen Tempos, auf deren Charakter bei der Stimmung eines Gong großer Wert gelegt wird. Neben dem großen Gong gibt es eine Reihe kleinerer Gonggruppen (gong suwukan, kempul, kenong, kethuk, kempyang, engkuk und kemong) und Gongspiele (bonang barung und bonang panerus), die alle einen zentralen Buckel aufweisen (pencon 'gebuckelt').
Die zweite große Instrumentengruppe des Gamelans sind die Metallophone (einoktavig slenthem, demung, saron, peking und mehroktavig gendèr (barung) und gendèr panerus), die ebenfalls in verschiedenen Größen und zwei Grundbauweisen auftreten. Ein Teil der einoktavigen Melallophone wird zur Klangverstärkung mehrfach eingesetzt. Im Gegensatz zu den mittig gewichteten, kreisförmigen Klangscheiben der Gonginstrumente, verfügen sie über längliche Klangplatten (wilah). Slenthem, gendèr barung und gendèr panerus verfügen dabei über gestimmte Röhrenresonatoren für jede Klangplatte, während demung, saron und peking über Trogresonatoren verfügen. Eine Zwischenform bilden slentho und gong kemodhong, deren Klangplatten mittig gebuckelt sind. Vom slentho gibt es dabei eine demung-artige Variante mit Trogresonator, sowie eine slenthem-artige mit Röhrenresonatoren. Ebenfalls als Zwischenform eingestuft werden kann die rèntèng-Bauweise, in der billigere und platzsparende Formen von bonang und kenong ausgeführt werden. Fast alle Bronze-Ideophone können zur Kostenersparnis auch aus Eisen oder Messing ausgeführt werden.
In einem großen Gamelan finden sich darüber hinaus ein Xylophon (gambang) mit Trogresonator, eine Zither (siter, bzw. in aufwendigerer Bauweise celempung), eine Bambus-Außenspaltflöte (suling), eine zweisaitige Spießfidel (rebab), sowie ein Satz zweifelliger Fasstrommeln (kendhang). In einem großen Teil des Gamelan-Repertoires nehmen auch Vokalisten an der Ausführung teil. Für die beiden Stimmungen sléndro und pélog werden die meisten Instrumente in einem großen Gamelan gedoppelt. Bei alten Instrumentarien wird ein solches großes Gamelan aber oft auch als die Zusammensetzung eines eigenständigen sléndro- und pélog-Gamelans verstanden (erkennbar u.a. daran, dass beide einen eigenen Namen tragen).

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Arten von Gamelan-Ensembles, die sich nach der Zusammensetzung der Instrumente, dem sozialen Kontext ihrer Verwendung, dem zugehörigen Repertoire und den Prinzipien des Zusammenspiels unterscheiden lassen. Wichtige javanische Unterscheidungen innerhalb eines Gamelan basieren auf Klangstärke (leise und laute Instrumente), auf Status, Lokalität und Rolle (vordere und hintere Instrumente), sowie auf musikalischer Koordination im Zusammenspiel (melodie- und gerüstorientierte Instrumente). Diese Dichotomien überlappen sich weitgehend, betrachten aber das Gamelan aus einem jeweils anderen Blickwinkel, und in die Betrachtung der Instrumente selbst mischt sich die der Spielweise und der Musiker. Die Abgrenzungen zwischen den Teilen des Gamelans sind dabei nicht ganz scharf - das Gongspiel bonang z.B. gehört klar zu den lauten Instrumenten, wird aber manchmal den vorderen und manchmal den hinteren Instrumenten zugeordnet. Statt gerüst- vs. melodieorientiert wird auch oft eine Drei- und sogar Vierteilung vorgenommen, die dem Spiel der einoktavigen Metallophone eigenständigere Bedeutung einräumt. Danach unterscheidet man Instrumente, die das metrische Gerüst markieren, Instrumente, die eine Gerüstmelodie (balungan) spielen und Instrumente, die sich stärker an tonalen Kohäsionspunkten (sèlèh) und damit einhergehenden Melodiemodellen vokaler Grundlage (lagu) orientieren. Balungan ist die Stimme, die in der in den 1920-er Jahren am Hof des Patih von Solo, im kepatihan, entwickelten Ziffernnotation aufgezeichnet wird. In dieser werden die 5 Töne, die in laras sléndro innerhalb einer Oktav unterschieden werden können, mit 6 5 3 2 1 (fallende Tonhöhen) durchnummeriert und die 7 Töne einer pélog-Oktav mit 7 6 5 4 3 2 1. Die saron-Stimme eines Stückes wird üblicherweise in endgewichteten 4-er Gruppen niedergeschrieben (gatra). Balungan stand lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses der Forschung, und die kepatihan-Notation, sprich balungan-Orientiertheit des Spiels, gewinnt auch in der Praxis immer weiterreichende Bedeutung. Es gab schon früh Warnungen vor einer Einführung von Notation in eine weitgehend auf dem Sozialen des Zusammenspiels basierenden Musikkultur - beispielsweise war die Verwendung von Notation in den 1970-er Jahren an ASKI (Akademi Seni Karawitan Indonesia) Surakarta, dem Vorläufer der Kunsthochschule STSI, ausdrücklich verboten. Davon weitgehend unbeeinflusst breitet sich die Verwendung von Noten im praktischen Spiel aber immer weiter aus. Die kepatihan-Notation suggeriert, dass in balungan die Identität eines Gamelan-Stückes läge, und so basieren viele Untersuchungen zur Tonalität von Gamelan-Musik auf der Auswertung von balungan. Dieser Eindruck wurde nachhaltig von der Diskussion um den Begriff inner melody in Frage gestellt, den der in Amerika lehrende Javaner Sumarsam Ende der 1960-er Jahre einführte. Danach stellt balungan nur eine geronnene, stereotype Umsetzung einer reicheren, zugrundeliegenden Melodie dar, die die musikalische Vorstellung aller Musiker bestimmt, während sie ihre Stimme spielen. In der Tat lässt sich an guten javanischen Musikern immer wieder beobachten, dass ein Stück durchaus kompetent gespielt werden kann, ohne deren balungan explizit und durchgängig zu beherrschen. Musiker mit dominant empirischem Werdegang konzeptualisieren Musikstücke eher als eine etwas vage Melodie vokalen Charakters, in der ein Extrakt mehrer Stimmen zusammenläuft. Wenn solche Musiker Segmente von Stücken zu Demonstrationszwecken vorsummen, springen sie oft andeutungsweise zwischen verschiedenen Stimmen, besonders sindhénan (weiblichem Sologesang), rebaban, bonangan, kendhangan und in manchen Momenten auch balungan hin und her. Eine pauschale Beschreibung wird der Rolle von balungan in Gamelan-Musik nicht gerecht, wir werden im weiteren Verlauf immer wieder zu Sichtweisen vordringen, die ein differenzierteres Verständnis von balungan mit Bezug auf Repertoire und die vielfältigen Spielmodi der Gamelan-Musik erlaubt.

Obwohl Gamelan-Musik dem Augenscheine nach oft als dominant instrumental angesehen wird, kann die Bedeutung des Vokalen für einen Großteil des klassischen Repertoires nicht unterschätzt werden. Eine besonders fruchtbare Betrachtungsweise ist die, dass sich in Gamelan-Musik instrumentale und vokale Prinzipien in einem produktiven Spannungsverhältnis befinden. Es ist gut vorstellbar, dass sich dieses Spannungsverhältnis in einem historischen Prozess ausgebildet hat, bei dem sich verschiedene, jeweils primär instrumentale oder vokale Musikgenres gemischt haben. Eine solche Sichtweise wird stark von den überlieferten historischen Gamelan-Ensembles unterstützt, die bezüglich obiger Dichotomien oft homogenere Einheiten bilden. Jenseits von ensemblegebundenen Gegebenheiten kann dabei bis heute auch im großen Gamelan je nach Ausführungskontext, Genre, Repertoire, Lokalstil und Musikerpersönlichkeit der instrumentale oder der vokale Aspekt stärker in den Vordergrund treten. Die Spannung zwischen den beiden Polen bildet eine reiche Quelle für Vielfältigkeit von Spielweise und musikalischer Auffassung.

Inzwischen als das Standard-Ensemble einzustufen ist das umfängliche gamelan ageng, in dem kleinere Ensembles zu einer Einheit vereinigt sind. Während die Genese des großen Gamelans aus der Verschmelzung kleinerer Ensembles als relativ gesichert angesehen werden kann, wird doch heute auch das große Gamelan als eine homogene Einheit aufgefasst, in dem laute und leise Instrumente über einen weiten Bereich von Repertoire und Spielweisen zusammen erklingen. Die lauten Ensembles sind praktisch vollständig der höfischen Sphäre zuzuordnen: die heute archaisch anmutenden zeremoniellen Gamelan-Ensembles Sekatèn, Kòdhòk Ngòrèk, Munggang und Cara Balèn sowie das Gamelan-Ensemble, das speziell auf das Repertoire der gendhing bonang abgestimmt ist. Gamelan bonangan verfügen in der Regel über überdurchschnittlich viele balungan-Instrumente und haben statt des slenthem häufig das slentho (Metallophon mit Buckel in der Mitte der Klangplatten). All diese Ensembles verzichten auf die leisen Instrumente und verwenden keinen Gesang. Die drei häufigen Vertreter der leisen Ensembles sind das historische Ensemble zur Begleitung von wayang (wo der Anteil lauter Instrumente auf zwei Metallophone beschränkt ist), sowie die Ensembles gadhon und cokèkan, deren Instrumente weniger genau festgelegt sind, die aber nie laute Instrumente enthalten und zu denen stets Vokalisten gehören. Eine weitere Besonderheit des alten wayang-Begleitensembles ist das kècèr, ein Paar horizontal liegender, etwa handgroßer Becken, die in ostinatem Rhythmus gespielt werden.
Bemerkenswerterweise sind diese leisen Ensembles sehr viel stärker der dörflichen Sphäre zuzuordnen als dem Hof, so dass im Prozess der Vermischung von Instrumentalem und Vokalem auch der des Ineinanderwirkens von Hof- und Dorfkultur vermutet werden kann. Allerdings findet sich auch am Hof eine alte, dominant vokale Form des Gamelanspiels, die einen Teil der klassischen Tanzgenres bedhaya und srimpi bildet. Das Repertoire dieses Genres wird von der sindhénan bedhayan genannten Vokalstimme dominiert. Archaische Stücke dieses Repertoires verzichten auf einen großen Teil des Gamelan und beschränken die instrumentale Begleitung auf die elementaren Gonginstrumente und kendhang. Zusätzlich erklingen die bedhaya-spezifischen kemanak, ein Paar hoch gestimmter, etwa bananenförmiger Bronzekörper, die während eines gesamten Tanzes ein gleichmäßiges repetitives Elementarmotiv durchhalten. Inwieweit die Genres santiswara und larasmadya eine Übertragung des archaischen bedhaya-Ensembles in eine andere musikalische Sphäre bilden, ist schwer zu bestimmen. Auffällig ist jedoch, dass auch hier eine relativ spärliche, auf die Markierung von Perioden reduzierte Begleitung einer dominanten Vokalstimme vorliegt und darüber hinaus kemanak verwendet werden. Die melodische Idiomatik dieser beiden Genres steht jedoch dem offenen Repertoire der Gamelan-Musik näher als dem eigentümlichen Charakter der archaischeren, tradtionell dem Hof vorbehaltenen bedhaya-Stücke. Charakteristisch für das islamisch geprägter Musikausübung zuzuordnende Genre santiswaran sind die Rahmentrommeln terbang, die die Markierung der Perioden übernehmen und alle Bronze-Instrumente, mit Ausnahme der kemanak, ersetzen.

Die klar dem Hof zuzuordnenden, bereits oben genannten archaischen Ensembles Kòdhòk Ngòrèk, Munggang, Cara Balèn mit ihrem Sonderrepertoire, sowie die den jährlich zum Geburtstag des Propheten ausgerichteten sekatèn-Feierlichkeiten zugehörenden Gamelan-Ensembles, die nur noch in den großen Höfen von Solo und Yogya und in recht andersartiger Bauweise noch in Cirebon vorkommen, verfügen über eine ganze Reihe von Instrumenten, die im normalen gamelan ageng nicht vertreten sind. Die heute eher jahrmarktartige Stimmung der sekatèn-Feierlichkeiten macht leicht vergessen, dass dabei ursprünglich das Gamelan im Mittelpunkt stand. Die Legende sagt, dass das Gamelan hier ursprünglich verwendet wurde, um Gäste zu den islamischen Feierlichkeiten anzulocken und somit den Islam zu popularisieren. Einige Zeremonien des Kraton in Verbindung mit sekatèn und am ersten Tag des Neujahrsmonats Sura deuten darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Hof und Moschee im Verlauf seiner langen Geschichte nicht immer unproblematisch war, denn die Symbolik der höflichen Referenzen, mit denen sich das Kraton zur Moschee hin öffnet, erwecken im Umkehrschluss den Eindruck, dass der Frieden zwischen den beiden Lagern immer wieder reguliert werden musste. So mag sekatèn, das ein seltenes, wenn nicht singuläres Beispiel für im wahrsten Sinne des Wortes massives Eindringen von Gamelan in die Sphäre islamischer Religionsausübung darstellt, auch als ein Beispiel für ein eindrucksvolles Arrangement zwischen Hof und Moschee interpretiert werden. Das Kraton Surakarta besitzt zwei gamelan sekatèn, Guntur Madu und Guntur Sari, die zu den spirituell machtvollsten Gütern des Kraton gehören. Die beiden Gamelan-Ensemble sind weit überdurchschnittlich groß und werden in der sekatèn-Woche in zwei überdachten Pavillons vor der großen Hauptmoschee am Alun-alun, dem großen Vorplatz des Kratons, aufgestellt. Nur ausgewählte und initiierte Musiker waren ursprünglich zu den feierlichen Musikmarathons zugelassen, die sich (bis heute) über eine ganze Woche erstrecken. Die beiden Gamelan werden alternierend gespielt und in der spontanen Auswahl der Stücke soll duchaus eine Komponente von Wetteifern um größere Repertoirekenntnis zwischen den beiden Gruppen gesteckt haben. Das Repertoire von gamelan sekatèn verfügt über zwei reservierte, sakrale Stücke, die immer zu Eingang eines Zyklus gespielt werden, ansonsten bedient sich sekatènan aber aus dem offenen Repertoire javanischer gendhing und bringt sie in der spezifischen Spielweise des gamelan sekatèn zum Erklingen. Dabei wird das mérong (der erste Hauptteil der großen zweiteiligen gendhing) durch eine racikan genannte Einleitung ersetzt, nämlich melodiös schweifendes bonang-Spiel, in das die balungan-Instrumente immer wieder mit markanten Schlägen einfallen. Das Ende des racikan mündet in das inggah (dem zweiten Hauptteil der großen zweiteiligen gendhing) des jeweiligen gendhing, und wird stets mit einem furiosen sesegan-Teil abgeschlossen. Im nur über pélog verfügenden gamelan sekatèn ist das riesige bonang panembung besonders auffällig, das nochmal ein Register unter dem bonang barung liegt, und das von zwei Musikern an den beiden Längsseiten gespielt wird. (In Yogya, wo das bonang panembung viel verbreiteter und säkularer ist, kommt es auch gemeinsam mit bonang barung und bonang panerus in einem Gamelan vor). Eine weitere instrumentale Besonderheit ist das große kempyang-Paar, das durch die bewusst leicht abweichende Stimmung einen eigentümlich schwebenden Klang besitzt (im Prinzip ähnlich dem gong kemodhong des gadhon Ensembles). Interessant für das Zusammenspiel im gamelan-sekatèn ist die Tatsache, dass es keine kendhang gibt, sondern nur die große, hängende bedhug, die aber keine temposteuernde Funktion besitzt. Die graduelle Beschleunigung hin zum schnellen sesegan-Teil wird in einem Wechselspiel von demung und bonang geregelt.

Speziell dem Fürst der Höfe zugeordnet ist das gambang gangsa, von dem die Bauweise eines kleinen gambang mit Bronze-Klangplatten sowie die eines überbreiten saron überliefert ist. Das gambang gangsa hat eine singuläre Spielweise mit zwei alternierend geschlagenen Holzschlägeln und wird nur in zwei Stücken eingesetzt, Kòdhòk Ngòrèk und Undur-undur Kajongan, die beide ursprünglich eine feste zeremonielle Anbindung an das Erscheinen des Fürsten hatten.

ToDo: Instrumente von Kòdhòk Ngòrèk, Munggang und Cara Balén

Vokalisten

Im klenéngan (in Yogya uyon-uyon), im wayang und in der Tanzbegleitung gehört Gesang zum festen Bestandteil der Aufführung. Nur die speziellen Genres der gendhing bonang, des sekaténan und einzelne Stücke speziellen Repertoires verzichten gänzlich auf Gesang und mit ihm auch die Stimmen der leisen Instrumente. Im offenen Repertoire der klassischen gendhing ist der weibliche Sologesang sindhénan die Regel, ferner setzt in bestimmten Phasen der männliche Gruppen-Gesang gérongan ein. Die pesindhèn, manchmal auch waranggana genannt, die inzwischen ein fester Bestandteil des Gamelan ist und zu den exponiertesten - und bei weitem bestbezahlten - Musikern gehört, scheint aber weniger lang zum Gamelan zu gehören, als man vielleicht erwarten würde. Sindhénan, wie auch ciblonan, stammt offenbar von der Tradition des gambyongan ab, in der eine Tänzerin die männlichen Gäste während des Tanzes mit Gesang animierenden Inhalts unterhielt. Bodenständiger gambyongan war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein, und vereinzelt auch noch heute, eine beliebte Unterhaltung v.a. für Männer und könnte in seinen Ursprüngen mit Fruchtbarkeitssymbolik in Verbindung gestanden haben. Den allabendlichen Vorstellungen des früher äußerst populären Soloneser wayang-wong Theaters Sri Wedari ging bis vor nicht allzu langer Zeit eine Stunde gambyongan voraus. Die Tänzerin/Sängerin des gambyongan, die tlèdhèk, ist eine populäre und gleichzeitig mit zweifelhaftem Ruf behaftete Künstlerpersönlichkeit. Da gambyongan auch von klassischen Gamelan-Stücken begleitet wird, lassen sich die Prinzipien des gambyong-Gesanges relativ zwanglos auf die übrigen gendhing übertragen. Dieser Vorgang scheint gegen Ende des 19. Jahrhunderts begonnen zu haben, als die tlèdhèk nach Erzählungen der ältesten Musiker allmählich in das Gamelan integriert und zur starr sitzenden pesindhèn befördert wurde. Diese Herkunft der pesindhèn wirkt bis heute im Bewusstsein der Gesellschaft nach, und alte Dorfbewohner bezeichnen die Sängerin des Gamelan bis heute noch manchmal als tlèdhèk, was in der Stadt inzwischen so negativ belegt ist, dass es als Beleidigung aufgefasst werden (und auch gemeint sein) könnte. Praktisch alle Sängerinnen der ältesten noch lebenden Generation waren in ihrer Jugend auch Tänzerinnen und haben den bodenständigen gambyongan, dessen Aura scharf von den höfischen Sublimierungen des gambyong-Tanzes abgegrenzt wird, noch erlebt und zum Teil auch praktiziert. Die höfische gambyong-Tänzerin hat aufgehört zu singen, und die pesindhèn hat aufgehört zu tanzen. Vor diesem Hintergrund wird auch die Konnotation deutlicher, die aufscheint, wenn es in der modernen, unterhaltungsorientierten wayang-Praxis wieder üblich wird, dass sich die Sängerin erhebt und ihren Gesang mit Tanz untermalt. Allerdings handelt es sich dabei praktisch immer um moderne campur sari Sängerinnen, also Sängerinnen, die auf das Repertoire einer jüngeren Tradition spezialisiert sind, in der aus anderen Genres übernommene Melodien (keròncòng und pop) mit Gamelanbegleitung ausgeführt werden. In der jüngeren Generation traditionell orientierter Künstler gibt es kaum noch Sängerinnen, die gut tanzen können (und das gleiche gilt umgekehrt). Aufgrund der Omnipräsenz der pesindhèn im klassischen Repertoire ist es erstaunlich, dass sie erst vor gut hundert Jahren ins Gamelan gekommen zu sein scheint. Da klassisches sindhénan z.T. sehr differenziert mit Eigenarten vieler gendhing korrespondiert und man sogar davon ausgehen kann, dass manche gendhing durch von sindhénan gezeugte Ideen beeinflusst wurden, können wir schließen, dass viele der heute als klassisch zeitlos angesehenen Stücke noch Anfang des 20. Jahrhunderts dynamischen Wandlungsprozessen unterworfen waren.

Außer im sindhénan treffen wir auf Sologesang noch in Form der bawa, der unbegleiteten, gesanglichen Einleitung eines gendhing, die die instrumentale buka ersetzt. Bawa ist eine der wenigen Möglichkeiten für männliche Sänger, sich hervorzutun. Eine andere ist palaran, in dem eine Solostimme (pesindhen oder der männliche wiraswara) Poesie vorträgt, die von einer ostinaten Mischung von kenong, kempul, gong und den leisen Instrumenten begleitet werden. Die Grundstruktur der palaran-Begleitung ähnelt der des srepegan, allerdings muss sich die instrumentale Begleitung voll an die freien Melismen des Textvortrages anpassen.

ToDo: Sindhénan bedhayan, Kor

Form, Rhythmus und Tempo

Auch im Bereich von Form, Rhythmus und Tempo zeigen sich markante Eigentümlichkeiten, mit deren Darstellung man sich allerdings im Allgemeinen unwillkürlich auf den Bereich metrisch gebundener, überwiegend instrumental grundierter Musikgenres beschränkt. Die vielen freirhythmischen Vokal- bzw. Literaturgenres (suluk, bawa, macapat), auch der Sologesang der pesindhèn innerhalb des Gamelan, oder das stark vokal dominierte Genre des palaran, selbst die Rhythmizität des Rebabspiels, sind viel weniger einfach griffig zu beschreiben - zum einen weil das Moment des rhythmischen Pulses im Vortrag zu fehlen oder hinter extremer Agogik zu zerrinnen scheint, und zum anderen weil die gestaltstiftenden Merkmale in der fremden Körperhaftigkeit der javanischen Sprache und den ebenfalls fremden Formen ihrer Poesie begründet liegen.
Begibt man sich dagegen in den Bereich der regelmäßigen instrumentalen Formen, trifft man zunächst auf das alles durchdringende Prinzip der Periodizität, das sich darüber hinaus als bemerkenswert konsistente, durch klangliche Markierung explizit gemachte, musikalisch rhythmische Umsetzung des 1/2n-Prinzipes realisiert. In den regelmäßigen Formen der Gamelan-Musik bildet das Erklingen des großen Gong die markanteste Markierung der Periode, oder, wie wir sehen werden, bildet der Schlag auf den großen Gong prototypisch den musikalischen Abschluss der Periode. Diese Hauptperiode wird im Javanischen gongan genannt. Zum großen Gong gesellen sich nun andere Instrumente, die vor allem mit ihrem Klang dazu dienen, immer tiefer sich verschachtelnde Unterteilungen der Gongperiode zu markieren. Diese markierenden Instrumente tragen, wie ja auch der Gong, onomatopoetische Namen, wobei immer die Schlusssilbe des Namens eine Assonanz zum Klang des jeweiligen Instrumentes aufweist. Am idealtypischsten realisiert sich das 1/2n-Prinzip in der musikalischen Form des ketawang, in der der kenong das Gongan mittig unterteilt, der kempul die Mitte zwischen zwei Kenongschlägen markiert, das resultierende Segment wiederum durch das kethuk halbiert wird und auch die Mitte dieses Segmentes durch das kempyang markiert wird:

pyang
 
pyang
 
pyang
 
pyang
 
pyang
 
pyang
 
pyang
 
pyang
 
 
thuk
     
thuk
     
thuk
     
thuk
   
     
(pul)
             
pul
       
             
nong
             
nong
                             
gong

Die tabellarisch dargestellte Unterteilung zeigt bereits einige Abweichungen von einer konsequenten Umsetzung des 1/2n-Prinzipes: Während der kenong noch eine Unterteilung makiert und mit dem Gong zusammen erklingt, gewissermaßen also eine eigene Periode begründet, beschränken sich die dichter unterteilenden Instrumente auf die Markierung der Unterteilung selbst. Zudem wird der erste kempul in der Soloneser Tradition nicht gespielt. Hier haben wir es mit dem Ineinanderwirken mehrerer Faktoren zu tun, die in einem späteren Kapitel genauer diskutiert werden, sich letzten Endes aber auch nicht genau aufschlüsseln lassen. Bei den Markierungsschemata der verschiedenen Perioden der Formen im javanischen Gamelan haben wir es auch mit historisch geronnenen Phänomenen zu tun, über deren spezifische Irregularitäten nur spekuliert werden kann. Allerdings gibt es viele Anzeichen, dass den Gong-Perioden der Gamelan-Musik kognitiv das Unterteilungsprinzip 1/2n als idealtypischer Bezugsrahmen zugrundeliegt, unter anderem auch das Wortpaar dhing und dhong, in dem die Vokalfarben i (spitz, leicht) und o (breit, schwer) einander gegenübertreten und damit musikalische Dichotomien wie leicht-schwer, offen-geschlossen oder gespannt-gelöst zum Ausdruck bringen. Wichtig ist dabei auch, dass dhing dem dhong vorausgeht, es handelt sich um ein endgewichtetes Grundmotiv. Eine sprachklangliche Realisierung einer solchen Grundgestalt wäre z.B. ning-nong-ning-gong, wobei Javaner diese Gestalt unweigerlich intonierend sprechen werden: der ersten und dritten Zählzeit kommen Hochtöne zu, der zweiten Zählzeit ein Mittelton und die vierte Zählzeit wird als Tiefton erklingen und sicher artikulatorisch betont und gedehnt. Diese Grundgestalt, die sich in Gamelanmusik in vielen Formen realisiert (in obiger Tabelle beispielsweise als repetitives pyang-thuk-pyang-x, abgeschlossen von entweder pul oder nong oder gong, oder im Spiel der kemanak oder als Grundmotiv der archaischen Stücke Kodhok Ngorèk und Munggang), kann als Verschränkung des dhing-dhong-Prinzipes auf zwei Unterteilungsebenen aufgefasst werden:

dhing
dhong
dhing
dhong
 
dhing
 
dhong
ning
 
ning
 
 
nong
   
     
gong

Das dhing der elementareren Unterteilungsebene wird zum dhong der nächst dichteren Unterteilungsebene, und das Prinzip lässt sich immer tiefer treiben. Jede dichtere Schicht des generativen dhing-dhong besteht wieder aus dem selben Grundmotiv. Allerdings erhält jedes ning-nong-ning-gong durch seine spezifischen Wechselbeziehungen im dhing-dhong-Netz der Gesamtperiode gleichzeitig eine einmalige Stellung. Daher ist es unabhängig von der melodischen Identität eines Musikstückes möglich – wenn auch oft schwierig – in jedem Moment zu spüren, an welcher Stelle der Gongperiode man sich gerade befindet.

Diese etwas umständliche Erläuterung eines Prinzipes, das man als durchaus vergleichbar mit geradzahligen westlichen Taktordnungen und als ein allgemeines Prinzip geradzahliger Unterteilungsrhythmik auffassen kann, erhält seine besondere Bedeutung durch verschiedene Grundgegebenheiten in javanischer Gamelan-Musik: Zum einen gehen alle Perioden der regelmäßigen Formen nach dem 1/2n-Prinzip restlos auf, d.h. ein gongan lässt sich in 2, 4, 8, 16, 32, 64... gleichmäßige Segmente unterteilen, nicht aber etwa in 12, 24, 10, 15 oder 18. Zum anderen spiegelt sich die Schichtung der dhing-dhong-Ebenen in der Spielweise der vielen Instrumente perkussiven Charakters im Gamelan wider. Dazu muss gesagt werden, dass die meisten Instrumente des Gamelan ihre Tonabfolgen in einem ebenmäßigen Puls fester Schlagdichte spielen. Jedes dieser Instrumente kann aufgrund seiner prototypischen Schlagdichte einer der Schichten zugeordnet werden. Bei gong und kenong ist das eher von theoretischer Bedeutung, denn bei den oft sehr langen Perioden kann man nicht mehr von einem Puls sprechen. Aber die meisten Instrumente, deren Stimmen eine melodische Gestalthaftigkeit besitzen, lassen sich über ihren Grundpuls einer der dhing-dhong Schichten zuordnen. Dabei gibt es zu einem gewissen Grad eine Korrelation zwischen Oktavlage und Schlagdichte eines Instrumentes, wobei ansatzweise gilt, dass sich die Schlagdichte mit jeder Oktav verdoppelt. Stärker noch als bei der Beziehung zwischen 1/2n-Prinzip und klanglicher gongan-Strukturierung trifft allerdings zu, dass es sich um ein im Hintergrund wirkendes, idealtypisches Prinzip handelt, dessen konsequente Umsetzung von vielen anderen Gegebenheiten überlagert wird.

Die generative Wirksamkeit des dhing-dhong Prinzips zeigt sich besonders aufschlussreich in dem Phänomen des irama-Wechsels, bei dem die Spieler des Gamelan gemeinsam einen Tempowechsel auf etwa die Hälfte oder das doppelte des Ausgangstempos vollziehen. Dabei gilt für einen Teil des Gamelan, dass nach Vollzug des irama-Wechsels etwa halb- oder doppelt so schnell gespielt wird, ein anderer Teil des Gamelans wechselt nach Vollzug des Überganges jedoch in die nächsthöhere- bzw. nächstniedrigere dhing-dhong Schicht über und erreicht dadurch eine Schlagdichte, die idealtypisch derjenigen entspricht, die vor dem irama-Wechsel bestand. Hier zeigt sich, dass zugleich mit dem rein relativen Unterteilungsprinzip auch das Gefühl für eine bestimmte absolute Schlagdichte einer Spielweise besteht, das bei irama-Wechsel durch den Übertritt in eine andere dhing-dhong-Schicht beizubehalten angestrebt wird.

Die Teilung eines Gamelans in Stimmen, deren Spiel sich bei irama-Wechsel verlangsamt bzw. beschleunigt und solche, die nach vollzogenem Wechsel wieder in ihre idiomatische Schlagdichte zurückschnappen, muss auch mitbedacht werden, wenn man in Gamelanmusik von (absolutem) Tempo spricht – die Formulierungen schnelles vs. langsames irama sind in dieser Hinsicht zweideutig: Einerseits kann etwa mit Verlangsamung des irama die zeitliche Dehnung des gongan, und damit die Verlangsamung der gongan-markierenden Instrumente sowie der balungan gemeint sein. In anderen Fällen geringeren Tempowechsels, der etwa häufig bei Tanz- oder wayang-Begleitung zur Anpassung an das szenische Geschehen notwendig wird, wird auch von Verlangsamung und Beschleunigung des irama gesprochen, ohne dass damit jedoch ein irama-Wechsel einherginge. Dieses Verständnis von Tempo lässt sich besser als eine Anpassung des Grundpulses an äußere Gegebenheiten oder den Charakter eines Genres oder einer Phase eines Genres verstehen. Der kendhang-Spieler, meist als musikalischer Leiter eines Ensembles angesehen, hat nicht nur die Aufgabe die Gruppe im angemessenen Moment durch irama-Wechsel oder etwa zum Schluss (suwuk) hin zu steuern, ein sensibler Aspekt seines Wirkens ist die einfühlsame Anpassung oder Einstellung eines der Situation und Atmosphäre angemessenen absoluten Tempos. Für diesen letzteren Begriff von Tempo versuchte der bereits genannte Martopangrawit den aus der indischen Musiktheorie übernommenen Begriff laya zu etablieren und damit aus seiner streng unterteilungsrelativistischen, statischen Kodifizierung von irama auszugrenzen – allerdings umfasst irama außerhalb des akademischen Diskurses weiterhin beide Konzepte, und es ist vermutlich eine angemessenere Widerspiegelung einer ganzheitlichen Musikanschauung, dass sich in irama absolute und relative Rhythmus- bzw. Tempophänomene zu einem gestalthaften Ganzen mischen.

Martopangrawit unterscheidet sechs verschiedene irama-Stufen, die (mit einer Einschränkung) über ein unterschiedliches Verhältnis von peking zu saron-Schlägen definiert werden. Zu einer lückenlosen Erläuterung seines Systems wären noch verschiedene vorauslaufende Erläuterungen zu Arten von Balungan nötig (mlaku, nibani, ngracik), auch gilt die Einteilung in der Praxis nur für die Soloneser Spielweise. Im Prinzip gilt aber für jede irama-Stufe ein bestimmtes Verhältnis von peking- zu saron-Schlägen: irama lancar: 1:1, irama tanggung 2:1, irama dados 4:1, irama wilet 8:1 und irama rangkep 16:1, wobei immer eine prototypisch gleichbleibende Schlagdichte für peking vorausgesetzt wird, während sich die Schlagdichte des saron-Spiels mit jeder Stufe halbiert. Martopangrawits sechste irama-Stufe, irama gropak, ist der Sonderfall einer besonders schnell gespielten balungan, der im Grunde nur dann auftritt, wenn Stücke mit einer furiosen Schlussbeschleunigung enden. Dieses Phänomen, das vor allem im wayang auftritt und der Rückverstärkung einer hohen Dynamik im Bühnengeschehen dient, wird suwuk gropak (etwa 'krachender Schluss') genannt, und Martopangrawit hat offenbar den außerhalb des akademischen Diskurses völlig ungebräuchlichen Ausdruck irama gropak davon abgeleitet. In der Praxis ist es nun so, dass insbesondere die gebräuchlichsten irama-Bezeichnungen, irama tanggung, dados und wilet zusätzliche Merkmale beinhalten, die es im Grunde erlauben würden, eher von rhythmischen Genres oder Charakteren zu sprechen: irama tanggung (etwa 'schwebendes irama') kommt normalerweise nur zu Beginn oder zum Ende eines Stückes vor und ist prototypisch spürbar transient, mündet notwendigerweise entweder im Abschluss eines Stückes oder in der nächst langsameren Stufe irama dados ('gewordenes irama'), einem in sich ruhenden, stabilen Spielzustand, der beispielsweise das mérong, die erste, quasi-expositorische Hälfte der großen gendhing, bestimmt. Der typische Fall, in dem man von irama wilet spricht, ist das sogenannte ciblonan, eine häufige, im späteren, lebhafteren Teil von klenéngan stets verwendeten Aufführungsweise des inggahs, der zweiten Hälfte eines großen gendhing. Ciblonan ist eine lebhafte Spielweise in recht straff gehaltenem Puls, bei der die kendhang-Stimme von der über eine sehr differenzierte Spieltechnik und ein reiches Musterrepertoire verfügenden ciblon übernommen wird und alle garap-Instrumente in ebenfalls lebhafte, melodisch dichte Ausführungsformen ihrer céngkok übergehen. Besonders die Spieltechnik des bonang verändert sich total von der diminutiv-repetitiven, balungan-antizipierenden Spielweise in irama dados (genannt mipil), zu einer perlenden, stärker lagu-orientierten Spielweise, die sich aus der häufig komplementären Verschränkung der Stimmen von bonang barung und bonang panerus bildet (imbalan). Die typische Form des ciblonan-Spiels ist dabei aus der Form der gambyong-Begleitung übernommen, das eigentliche ciblonan stammt aus der Tanzbegleitung und ist erst in relativ jüngerer Zeit in das klenéngan eingedrungen. Nicht jede Verwendung der ciblon basiert allerdings auf den fixierten Formen des gambyongan, ein weiteres großes Feld der ciblon-Verwendung ist das der Unterstützung variablerer, formal flexiblerer, primär vokaler Formen wie jineman und palaran. Diese Form des ciblon-Spiels, häufig pinatut ('angepasst') genannt, gilt als wesentlich freier als ciblonan im engeren Sinne, und ist gleichzeitig formal stereotyper und in seiner Wirkung stark von der Kreativität und dem Stil des kendhang-Spielers abhängig.

Während Martopangrawits Plädoyer für die begriffliche Unterscheidung von irama und laya ('Tempo') nicht bis in die musikalische Alltagssprache vorgedrungen ist, ist die explizite Unterscheidung von Pulstempo und Relation von balungan- zu Grundpuls im analytischen Diskurs doch nützlich, denn bei der Ausführung auch ein und desselben irama kommt es durchaus zu unterschiedlichen Tempi, die die Atmosphäre des Spiels sehr stark beeinflussen. Dabei gibt es eine ganze Reihe Faktoren, die das Zustandekommen eines bestimmten Tempos während einer Aufführung beeinflussen können: zunächst die Form und Phase eines Stückes (inggah ist schneller und straffer als mérong, gegen Schluss eines Stückes zieht das Tempo sicher leicht an), dann dessen Charakter (viele gendhing haben einen ausgeprägten Charakter: traurig, fröhlich, majestätisch, herausfordernd, lebhaft, frivol... und das beeinflusst auch das Tempo des irama), sodann die Phase einer Aufführung und in diesem Zusammenhang auch der pathet (im Verlauf einer Suite von Stücken so wie auch im Verlauf eines klenéngan gibt es eine generelle Tendenz zu fortschreitendem Anstieg von Dynamik und Tempo, die mit einer geregelten Abfolge von pathet korreliert), die Persönlichkeit des kendhang-Spielers (zwei herausragende kendhang-Spieler der 1960-er und 70-er waren bekannt dafür, dass sie ein überdurchschnittlich hohes Tempo bevorzugten: der ganz in der klassischen Solo-Tradition beheimatete Turahya sowie der erneuernde Universalkünstler (Musiker, Dhalang, Komponist) Nartosabdo, dessen Tempopräferenzen zu einem wichtigen Merkmal des auf ihn zurückgehenden Semarangan-Stils wurde), schließlich Zweck und Atmosphäre der Aufführung (Ich war einmal Zeuge einer abendlichen Radioübertragung aus dem ehrwürdigen Pendopo des Mangkunegaran, wo der letzte Abschnitt eines Stückes unter dem Druck, vor Beginn der Nachrichten fertig zu werden, in geradezu lächerlich hohem Tempo durchgepeitscht wurde).

ToDo: Ambiguität von rangkep, Nennung und Beschreibung der häufigsten Formen

Das sèlèh-Prinzip

Sèlèh ('fallen', 'sich legen') oder tiba/dhawah (ng./kr. 'fallen') sind häufig gebrauchte Begriffe, um das Phänomen der Endgewichtetheit und melodisch/tonalen Schlussfähigkeit musikalischer Gestalten sprachlich zu erfassen und auch, um verschiedene melodische Weisen zu klassifizieren. Man spricht etwa von sèlèh ma (von lima '5') oder sèlèh nem ('6') und bezeichnet damit jeweils melodische Weisen, von denen die eine zum Ton 5 und die andere zum Ton 6 führt. Ein solcher Ausdruck kann in verschiedenen musikalischen Zusammenhängen, etwa pathet, verschiedene Weisen bezeichnen, aber die Formulierung zeigt, dass die Dynamik melodischer Wendungen von ihrem Zielpunkt her aufgefasst wird. Die Relevanz des sèlèh wird besonders bei der Beobachtung von garap-Stimmen und sindhenan sichtbar. Ein sèlèh bildet gleichsam ein tonales Gravitationszentrum, so dass sich in einem sèlèh alle Stimmen auf dem Zielton treffen, während insbesondere die garap-Instrumente vor dem sèlèh relativ unkoordiniert, der Idiomatik ihres Instrumentes folgend, spielen.

Es ist üblich, sèlèh eher als ein Phänomen melodischer Dynamik zu sehen, losgelöst von rhythmischem Gewicht. Ein Grund ist z.B., dass man auch in frei- oder sprachrhythmischen Genres wie bawa und macapat von sèlèh sprechen kann. Auch sindhénan ist im Normalfall rhythmisch ungebunden, zumindest lösen sich viele pesindhèn weitgehend vom unterliegenden Puls des Gamelan und nehmen nur punktuell rhythmischen Bezug auf den im Instrumentalspiel durch den rhythmischen Puls regulierten Fall der sèlèh. Trotz dieser weitgehenden Gelöstheit von Puls und rhythmisch geregeltem Einsatz ist sindhénan aufgrund seiner vokalen Natur und Gestaltungsfreiheit diejenige Stimme, in der der Fall des sèlèhs am deutlichsten zum Ausdruck kommt, und in der sich das unterschiedliche Gewicht und etwaige Unregelmäßigkeiten in der Abfolge der sèlèhs am deutlichsten zeigen. Die überwiegend fallenden Weisen des sindhénan zeigen auch, dass das Moment der melodischen Deszendenz, der Fall der Stimme und die damit verbundene stimmliche Entspannung für die Erzeugung des Eindrucks von Finalität auch in Gamelan-Musik wirksam ist. Viele gongan, insbesondere die stark vokal geprägten ngelik, sind melodisch als langgestrecktes, mehrfach ansetzendes Deszendenzmelos aufzufassen, die zum Gong hin schließlich im schlusskräftigsten Ton im tiefen Stimmregister münden. Im ciblonan kethuk 4, eine der häufigsten Formen des inggah in der späteren, ausgelasseneren Phase eines klenéngan, setzt praktisch immer von der Mitte des dritten kenong bis zum gong der Gruppengesang gérongan ein und führt Melodien aus, deren Konturen im Normalfall ebenfalls dem genannten Modell, dem mehrfach ansetzenden Deszendenzmelos entsprechen, das auf dem Gong schließlich in einem finalen Tiefton mündet. Oft wird dabei zum Neuansatz im hohen Register ein sogenanntes plèsètan ausgeführt, bei dem alle registerfähigen Stimmen mit einem Ruck ins hohe Register wechseln und dort eine Weile auf einer Stufe verharren (gantungan 'hängend').

Der Ambitus vokaler Stimmen und der vokal geprägten rebab entspricht praktisch dem gesamten Umfang der menschlichen Stimme innerhalb eines Stimmregisters, also im Höchstfall mehr als zwei Oktaven (die Oktavdifferenz zwischen männlicher und weiblicher Stimme wird ignoriert und die Kopfstimme praktisch nie eingesetzt). Von den perkussiven Instrumenten kann nur das gambang alle Register (hoch, mittel, tief) mitvollziehen. Alle anderen Instrumente sind jedoch im Ambitus so beschränkt, dass sie die vokalen Registerdurchläufe nicht in vollem Umfang ausführen können und daher an bestimmten Punkten einen Oktavwechsel durchführen müssen. Bonang, gendèr, siter und suling unterliegen hier schon einigen Einschränkungen, und alle anderen Instrumente (balungan und gongan-markierende Instrumente) sind überhaupt nicht zum Mitvollzug der Register geeignet, da sie auf eine Oktav beschränkt sind. Speziell die großen gong sind jedoch trotzdem ein Ausdruck der Korrelation von Tiefe und Schlusskräftigkeit, denn sie erklingan am Ende eines gongan und sind sehr tief gestimmt. Besonders im Fall der balungan Instrumente sollte man sich aber darüber im Klaren sein, dass die Konturen der Tonabfolgen nicht mit dem zugrundeliegenden melischen Duktus übereinzustimmen brauchen, ja diesem manchmal sogar entgegenzulaufen scheinen. So liegt den Tonfolgen 2 1 6 5 oder 3 2 1 6 häufig ein schrittweiser Abstieg auf einen tiefen Finalton zugrunde, während auf den balungan-Instrumenten aufgrund der Oktavbeschränkung ein weiter Sprung nach oben erfolgen muss. Der innere Vollzug der eigentlichen melischen Gestalt unabhängig von der melodischen Kontur der balungan-Instrumente ist eine große Herausforderung im interkulturellen Lernen und wird oftmals dadurch erschwert, dass Gruppen ohne Vokalisten und rebab zu spielen gezwungen sind. Eine differenziertere Form der Kepatihan-Notation, die Oktavlage durch Punkte oberhalb und unterhalb der Tonziffern anzeigt, kann hier zwar Klärung verschaffen, kann aber im musikalischen Erleben nicht kompensieren, dass die balungan-Instrumente (saron, peking, demung und slenthem) auf eine Oktav begrenzt sind und somit die melische Gestalt der zugrundeliegenden Tonfolgen nicht zum Ausdruck bringen können (Das in Solo im allgemeinen siebentönige sléndro-Saron weist zwar eine hohe 1 und tiefe 6 auf, diese werden aber nicht zur Unterscheidung der Oktavlage eingesetzt). Balungan ist in der musikalischen Alltagssprache unbestimmt bezüglich der Frage, ob damit die mehroktavigen registerspezifischen Tonfolgen gemeint sind oder die auf eine Oktav begrenzten, wie sie auf den saron Instrumenten gespielt werden. Ein Lehrer, der seinem Schüler eine balungan-Stimme vorsingt, mag dies je nach Einschätzung seines Schülers und seines didaktischen Ziels innerhalb der Oktavbegrenzung oder auf den Gesamtambitus gespreizt tun. Allerdings besteht im fortgeschrittenen Diskurs die Tendenz, balungan mehroktavig zu emulieren, letztenendes geht es aber auch unter kompetenten Musikern primär um das Gesprächsziel: möchte man sich über eine saron-Stimme verständigen, sänge man die einoktavige Version, geht es etwa um die Erläuterung von rebaban oder sindhenan, würde man die mehroktavige Version verwenden. Beides kann balungan genannt werden.

Das von Martopangrawit ausgearbeitete Begriffspaar padhang ('hell, klar') und ulihan ('zurückkehren') ist ein weiterer Schritt zu einer differenzierteren Betrachtung melodisch-tonaler Phänomene im javanischen Gamelan. Die Dichotomie weist gewisse Gemeinsamkeiten mit Begiffspaaren wie Vordersatz–Nachsatz, gespannt–gelöst und offen–geschlossen auf und erlaubt, die unterschiedliche Schlusskräftigkeit verschiedener melodischer Weisen zwei Grundkategorien zuzuordnen. Stärker als das eindimensionale Moment der Deszendenz fasst padhang und ulihan Gamelan-Idiomatik als ein dialogisches Pulsieren von offenen (steigenden) und schließenden (fallenden) Wendungen. Martopangrawit legt in seiner Darstellung auch eine Skizze der prototypischen Abfolge von padhang und ulihan-Wendungen in den verschiedenen Formen der Gamelan-Musik vor. Dabei können auch zunächst mehrere padhang einem alle gemeinsam abschließenden ulihan vorausgehen. Die Details Martopangrawits Darstellung gehen über den Rahmen dieser Einführung hinaus, aber zwei Sachverhalte sollen hier angesprochen werden: Zum einen trennt er nicht streng zwischen einer formal-rhythmisch und melodisch erzielten Schlusskräftigkeit und zum anderen entwickelt er leider kein anwendbares Konzept, wie melodisch-tonale Schlusskräftigkeit erzielt wird. Die Identifikation von padhang und ulihan bleibt intuitionsbasiert und hilft daher dem Betrachter von Außen, der nicht über diese Intuition verfügt, wenig weiter – auch javanische Musiker fragen sich manchmal, wie die Einstufung einer bestimmten Wendung als padhang oder ulihan zustandekommt. Martopangrawit, der Mitte der 1980er Jahre verstarb, besaß jedoch ganz außerordentliche analytische Fähigkeiten, die sich in vielen wichtigen Publikationen und Editionen niederschlugen, und war zugleich einer der herausragendsten Musiker seiner Zeit, der zu den Letzten und Besten derjenigen Musiker gehörte, die die höfische Tradition vor Beginn des Unabhängigkeitskrieges noch als etablierte Hofmusiker erlebt hatten. Die Auseinandersetzung mit seiner theoretischen Hinterlassenschaft und die Konkretisierung der padhang-ulihan-Klassifikation ist eine vielversprechende Aufgabe für ein tieferes Eindringen in die tonale Identität javanischer Gamelan-Musik.

Eine Auffächerung in melodisch-tonale und rhythmisch-formale Schlusskräftigkeit erscheint deshalb so dringend, weil sie ein tieferes Eindringen in die Identität einzelner gendhing ermöglichen würde und einen wichtigen Faktor erhellen könnte, der der Entscheidung von Musikern für die Gestaltung ihrer Stimme zugrunde liegt. Da die rhythmisch-formale Gewichtung aufgrund ihrer Markierung durch gong, kenong etc. und das unterliegende 1/2n-Prinzip relativ klar ist, rückt die Frage der Konstitution melodisch-tonaler Dynamik, und die im Gespräch mit Musikern immer wieder aufscheinende Frage des relativen Gewichts eines sèlèh, in den Vordergrund. ...

Laras und pathet

Das javanische Wort laras ist zunächst einmal ein häufig gebrauchter Ausdruck der Alltagssprache, der ganz allgemein einen Zustand harmonischer Wohlbefindlichkeit bezeichnet. Sekundär finden sich spezifischere Verwendungsweisen im Bereich Musik, die je nach Kontext den Bedeutungen von 'Stimmung', 'Stimmungsgeschlecht' und auch 'Ton' vergleichbar sind. Auf der allgemeinsten Ebene bildet das Wort 'harmonisch' einen interessanten Vergleich, da es ebenfalls zur Beschreibung allgemeiner Befindlichkeit und spezifischer im musikalischen Bereich verwendet wird. Allerdings ist 'harmonisch' zumindest in den europäischen Sprachen zunächst ein musikalischer Fachausdruck, der sekundär in das Soziale oder Ästhetische verallgemeinert wird, im Javanischen scheint das dagegen umgekehrt zu sein. Ein Grundgedanke, der sowohl soziale als auch musikalische Verwendungsweisen von laras durchzieht, ist, dass Dinge in angenehmer Übereinstimmung sind. Auch das Wort 'Stimmung' weist die Flexibilität der Anwendbarkeit sowohl im Musikalischen als auch in der allgemeinen Wahrnehmung der Umgebung auf, ist aber neutral bezüglich der Qualität. 'Stimmung' kann gut, schlecht oder vieles andere sein, während ein mit laras bezeichneter Zustand immer als angenehm empfunden wird.
Spricht man von musikalischer Stimmung mit Bezug auf die Organisation von Tonverhältnissen, hat sich in der westlichen Musikanschauung eine Denkweise ausgeprägt, die eine exakte Definition von Tonrelationen bzw. Intervallgrößen beinhaltet und diese auf der Basis der Obertonreihe oder der Theorie des überzähligen Verhältnisses (1:2, 2:3, 3:4 ...) von Frequenzen oder Saitenlängen definiert. Ein zweiter Grundaspekt von Stimmung ist der der absoluten Tonhöhe, die in der jüngeren westlichen Musikgeschichte normiert wurde. Systematische Modifikationen an der als natürlich betrachteten Grundlage musikalischer Stimmung werden unter dem Phänomen der Temperierung betrachtet und ebenfalls anhand mathematischer Modelle untermauert (z.B. wohltemperierte und mitteltönige Stimmung). Der heutige Standard, je nach Kontext als wohltemperiert, diatonisch, chromatisch, oder engl. 12-tönig "equal temperament" bezeichnet, wird als Teilung einer Oktav in 12 Töne exakt gleichen Abstandes (100 Cent) verstanden und beinhaltet auch eine Festlegung der Frequenz des Tones a' auf 440 Hz. Man spricht von Tonabstand (räumliche Auffassung von Tonbeziehungen), von Tonleiter (Ordnung einer Gesamtheit von Einzeltönen nach ihrer relativen Höhe) und geht von der Oktav als identitätsstiftendem Intervall aus (ober- und unterhalb derer sich alle Tonbeziehungen identisch wiederholen).
Stimmung im javanischen Gamelan ist mit dieser Anschauungsweise nicht angemessen beschreibbar. Die erste Unverträglichkeit bildet bereits die anhand zahlreicher Messungen belegte Tatsache, dass praktisch alle Gamelan-Ensembles unterschiedlich gestimmt zu sein scheinen, ferner selbst innerhalb eines Gamelan nicht alle Instrumente gleiche Intervalgrößen aufweisen. Auch sind sie in der Regel nicht exakt oktavidentisch, sondern mit leichter und oft unsystematisch erscheinender Oktavspreizung gestimmt. Außerdem gibt es zwei Stimmungsgeschlechter, laras sléndro und laras pélog, die sich kaum so in eine fassbare gemeinsame Materialtonleiter vereinigen lassen, wie es im Westen mit der Zusammenführung von Dur und Moll und den verschiedenen Tonarten auf die chromatische Leiter üblich ist. Beide bisher genannten Eigenheiten bedeuten natürlich auch, dass die Intervalle, die man in Gamelan-Stimmungen vorfindet, nicht den westlichen Intervallen (gleich ob natürlich oder temperiert) entsprechen. Letzteres gilt nicht nur für Instrumentalstimmungen, sondern ebenso für Vokalmusik. Darüber hinaus verwenden Vokalisten sowie rebab manchmal Töne, die sich in den Instrumentalstimmungen eines Gamelan nicht wiederfinden. Besonders ausgeprägt ist dies in minir der Fall, wo das Gamelan sléndro spielt, während Gesang und rebab eher pélog-ähnliche, in sléndro eingepasste Töne verwenden. Schließlich ist auch das Verhältnis vokaler (einschließlich rebab) zu instrumentaler Stimmung nicht genau verstanden. Die rebab etwa wird in einer exakten Quint und fast immer höher als das Gamelan gestimmt, und auch Vokalisten singen im allgemeinen ein wenig höher als die physikalische Stimmung des Gamelan.
Unter Ausklammerung von minir relativ unproblematisch ist die Beschreibung von sléndro als einer 5-tönigen, ziemlich gleichmäßigen Stimmung. Der Grad von Oktavidentität ist in sléndro sicher recht hoch und javanische Musiker unterscheiden in der Praxis nicht zwischen unterschiedlichen Abständen benachbarter Töne. Während die physikalische Spannweite der instrumentalen Stimmung der sléndro­Sekund zwischen gut 200 und knapp 300 Cent liegt, ist die Verteilung der unterschiedlichen Intervalle innerhalb der Oktav unsystematisch, d.h. von Gamelan zu Gamelan verschieden, und daher ganz offenbar nicht identitätsstiftend.
Pélog wird normalerweise als 7-tönige Stimmung beschrieben. 7-tönig ist pélog jedoch nur in etwa dem Sinne, in dem westliche Musik 12-tönig ist, nämlich als eine Verschränkung der gebräuchlichen Tongeschlechter oder Modi (pathet) innerhalb einer Oktave. In laras pélog (sowie laras sléndro) werden drei pathet mit Bezeichnungen unterschieden: lima, nem, und barang (sléndro: nem, sanga, manyura). Diese werden im allgemeinen als 5-tönig verstanden, wobei zwischen Nachbartönen ein enges und ein weites Intervall unterschieden werden kann. Wiederum gibt es Toleranzen, aber sie sind in pélog geringer als in sléndro. Das enge Intervall liegt um 150 cent, das Weite um knapp 400 cent. Die Haupttöne von pélog barang innerhalb der saron-Oktav sind 7-6-5-3-2, das weite Intervall liegt zwischen 5 und 3 sowie 2'-7. Die Haupttöne von pélog nem und pélog lima sind 6-5-3-2-1 bzw. 6-5-4-2-1, 4 und 3 sollen dabei zunächst vereinfachend als freie Alternativen gesehen werden (in pélog lima und nem kommt es praktisch nie zu der Fortschreitung 4–3). Je nach Verwendung von 3 oder 4 liegt das weite Intervall dann zwischen 5-3 oder 4-2 sowie zwischen 1'-6. Wenn diese Skalen ineinander verschränkt werden, entstehen zusätzliche Intervalle (1'-7 und 4-3) die aber klar sekundärer Natur sind (Differenzintervalle) und in vokaler Musik meines Wissens nie (1'-7) oder nur in speziellem melodischem Kontext vorkommen (4'-3'). Die 5-Tönigkeit der pélog-Geschlechter zeigt sich deutlich bei den garap-Instrumenten gendèr, gambang und siter, die in pélog jeweils doppelt vorkommen und 5-tönig gestimmt sind: pélog barang (7-6-5-3-2) und pélog nem/lima (6-5-3-2-1). Das Fehlen der 4 bei besagten garap-Instrumenten ist eine der Erscheinungen, die die Besonderheit des Tones 4 in pélog zeigt. In pélog nem und lima behandeln diese Instrumente eine 4 in balungan und Vokalstimmen, als ob es eine 3 wäre (in pélog barang, in dem die 4 in besonderen Fällten auch vorkommt, mitunter als 5). Eine weitere Besonderheit von 4 ist, dass sie bei weitem die höchste Stimmungsvariabilität aller pélog-Töne aufweist.

Auch in der Anordnung der einzelnen Gongs des bonang spiegelt sich die Besonderheit der 4 sowie auch von 7 und 1 wieder. Im Zentrum des zweireihigen Gongspiels liegen die Haupttöne 2-3-5-6 spiegelverkehrt und um einen Ton versetzt. In der untengezeigten Anordnung für pélog nem fügen sich auch die beiden Gong 1 logisch in die Abfolge der Töne, allerdings sind sie oktavvertauscht. Das erlaubt, zu sléndro analoge sekaran mit den gleichen Spielbewegungen auszuführen.

4
6
5
3
2
1.
7
7.
1
2.
3.
5.
6.
4.

Für pélog barang werden die Gong 7-1. bzw. 7.-1 gegeneinander ausgetauscht, so dass wiederum dieselben Schlagmuster, jetzt mit 7 statt 1, ausgeführt werden können:

4
6
5
3
2
7
1.
1
7.
2.
3.
5.
6.
4.

Je nach verwendeter Stimmung wird also 1 oder 7 aus der Mitte an den Rand gesetzt. Am Rand befindet sich auch im jeweils gegenüberliegenden Platz die 4 und erscheint damit ebenfalls als ein Ton geringerer Bedeutung.

Ein weiteres interessantes Phänomen der Stimmung javanischer Gamelanmusik lässt sich, wenn auch nur spekulativ, aus dem Tonumfang des bonang in pélog erklären. In folgendem Beispiel aus Gendhing Kagok Laras, kth. 2 kr. mg. 4, pélog lima, liegt während vier gatra ein sèlèh 7 vor.

--35 6767) ---7 -567 -567 -765)

Rebab, sindhénan sowie die garap-Instrumente spielen hier jedoch nicht zur 7, sondern, pélog lima entsprechend, zur 1'. Es ist anzunehmen, und etwa verbreitete Lehrmeinung an STSI Surakarta, dass die balungan zur 7 läuft, um die melodische Kontur eines pendelnden Auf- und Abstieges mit saron und bonang vollziehen zu können, was bei Verwendung der 1 nicht möglich wäre (bonang und saron verfügen in pélog nicht über die 1'). Es gibt viele Beispiele einer Verwendung von 7 in pelog lima, bei der die 7 offenbar eine 1' ersetzt, um die Dynamik der melodischen Kontur mit saron und bonang wahren zu können, und es ist in solchen Fällen nicht sinnvoll, von einer Modulation zu pélog barang zu sprechen (Das lässt sich anhand des Spiels der garap-Instrumente überzeugend zeigen).

Diese Beispiele zeigen, dass im javanischen Gamelan nicht nur die Stimmung verschiedener Gamelan und Instrumente vergleichsweise Variabel ist, sondern in bestimmten Fällen auch verschiedene Töne (7&1'/3&4/selten: 4&5) als Vertreter derselben musikalischen Stufe verwendet werden. Inwieweit solche Fälle einen besonderen Reiz zu erzielen versuchen oder schlicht im Rahmen der allgemeinen Stimmungstoleranz ignoriert werden, ist schwer zu beurteilen.

Ein weiteres interessantes Phänomen im Bereich Stimmung ist minir (manchmal auch miring genannt), bei dem das Gamelan sléndro spielt, während rebab und Vokalisten eine Art in sléndro eingepasstes pélog verwenden. Minir ist auch deshalb sehr bemerkenswert, weil sich mit der Verwendung von minir ein deutlicher emotionaler Gehalt verbindet – klassische Stücke, die dominant minir-Passagen enthalten (z.B. Gdh. Laler Mengeng mg. Ldr. Tlutur, sl. 9, oder die verschiedenen Ayak-ayakan Tlutur) gelten als ausgesprochen traurige Stücke und werden beispielsweise im wayang in tragischen Aufzügen (adhegan) verwendet. Die Einschränkung 'klassisch' wurde gemacht, weil sich im Semarang- bzw. Nartosabdo-Stil eine Verwendung von minir etabliert hat, bei der dieser emotionale Gehalt nach Meinung vieler Musiker zurücktritt. Im klassischen Solo-Stil tritt minir meist nur an vereinzelten sèlèh innerhalb eines gendhing auf, oft an Stellen die tonal ambig bezüglich des pathet sind. Die Verwendung von minir in verschiedenen gendhing ist weitgehend konventionalisiert, es besteht jedoch eine gewisse Wahlfreiheit, die dem rebab-Spieler obliegt. Wird ein sèlèh in minir ausgeführt, spielt die rebab eine charakteristische minir-Wendung, die sich meist über zwei-, manchmal nur über ein gatra erstreckt. Der Kadenzialton dieser Wendung sowie die übernächste sléndro-Stufe (im weiteren 'Quart') sowie die Stufe unterhalb des Basistons entsprechen weiterhin den sléndro-Stufen. Der in der Mitte der Gerüstquart liegende sléndro-Ton wird jedoch bis ganz nah an den Basiston abgesenkt. Auch die oberhalb dieser Gerüstquart liegenden Stufen verengen sich auf sehr enge Intervalle:

Minir kann theoretisch auf allen Stufen von sléndro erfolgen. Am häufigsten sind jedoch in sléndro sanga 2 (wie im Beispiel), 5' und (als sèlèh seltene, aber minir häufige) 3 sowie in sléndro manyura 6'. Wenn es zu minir-Stapelungen, kommt setzen sie sich im Normalfall in der Form konjunkter sléndro-Quarten fort. ...

Gamelan lernen

Ein javanisches Gamelan ist implizit auch eine Schule des Gamelan. Da traditionellem Gamelan die Konfrontation von Künstlern auf der einen, und Publikum auf der anderen Seite fremd ist kann der Übergang von aktivem Zuhören zu graduell sich vertiefender Teilnahme praktisch stufenlos erfolgen. In einem nonformellen Kontext, etwa bei den Proben von Amateur-Gruppen, wird sich ein interessierter Zuhörer höflich in der unmittelbaren Nähe eines Gamelans niederlassen und – wenn er Neugierde zeigt – sicher auch bald in das Gamelan hineingewunken. Dort wird er sich typischerweise zu den Vokalisten oder zu einem Spieler eines Instrumentes seines besonderen Interesses setzen und zunächst nur beobachten. Sich zu den Vokalisten zu setzen, eignet sich ganz besonders für den nahtlosen Eintritt in ein Gamelan, weil diese, locker verteilt vor dem Gamelan sitzend, oft wie aktive Zuhörer agieren, den Spielern und v.a. den pesindhèn witzige, oft neckende Kommentare zurufen und gegebenenfalls das virtuose ciblon-Spiel des Trommlers mit rhythmischem Klatschen rückverstärken. Gérongan, der Gruppengesang des normalerweise männlichen Teils der Vokalistengruppe, verwendet meist immer wieder verwendete Texte aus der javanischen macapat-Lyrik, die viele Javaner schon auswendig können. Gérongan verwendet stereotype Melodiemodelle, so dass Javaner häufig in der Lage sind, die gérongan-Stimme aus der Beobachtung der anderen Vokalisten und dem Achten auf früh signifikante Instrumente wie rebab, gendèr und bonang mit kaum spürbarer Verzögerung während des Ablaufes eines Stückes zu erahnen und intuitiv mitzuvollziehen, obwohl sie das gerade gespielte Stück vielleicht noch nie gehört haben. Für diese sich ahnend und spürend durch eine Ausführung tastende Musizierweise verwenden Javaner das Wort ngèli ('mit dem Wasser treiben, schweben'). Ngèli ist zwar ein leicht negativ besetzter Begriff, er impliziert das Manko, nicht auswendig zu spielen/singen, spielt aber in einem intuitionsbasierten Lernprozess eine außerordentlich wichtige Rolle. Oft ist es sogar so, dass Musiker, die sich ihrer Sache zu sicher sind, weil sie ein Stück auswendig gelernt haben oder aber von Notation spielen, im Zusammmenspiel weniger sensibel für angemessene Lautstärke und Agogik sind, als diejenigen, die sich hörend vorantasten. Da mechanische Exaktheit gespürtem Gamelan-Spiel zuwiderläuft und insbesondere dem Vokalen nahestehende Stimmen die Zeit stets ein wenig ausdehnen und damit auskosten, fällt ein leichtes Schleppen des tastenden Schülers kaum auf.

Beim Übertritt ins instrumentale Spiel hat der Anfänger idealerweise bereits eine ausgeprägte Intuition für Gamelan-Musik; deshalb fällt es ihm nicht schwer, die Spielweise der stereotypesten und motorisch einfachsten Instrumente aus der reinen Beobachtung aufzufassen und nachzuahmen. Kethuk-Spiel beschränkt sich im Wesentlichen darauf, das Grundtempo und die musikalische Form durch die Markierung relativ leichter Schlagzeiten mit einem dumpfen Schlag ('thuk') rückzuverstärken. Dies erfordert wenig mehr als rhythmische Sensibilität und die Fähigkeit, die verschiedenen Grundformen der javanischen Gamelan-Musik identifizieren zu können. Letztere können fast immer von der einleitenden Formel der kendhang abgelesen werden. Das Verhältnis Signalgeber - Rückverstärker, das sich hier zwischen kendhang und kethuk zeigt, lässt sich in vielen virtuellen Paaren innerhalb des Gamelan beobachten, z.B. rebab - pesindhèn, bonang - saron, bonang - kenong, gendèr barung - gendèr panerus, bonang barung - bonang panerus, peking - saron, kendhang - gong. Natürlich handelt es sich bei dieser Sichtweise um Vereinfachungen, letztlich ist die Wahrnehmung der Spieler holistisch und eher unbewusst, aber man kann häufig beobachten, dass Anfänger und Junior-Musiker bei Fehlern auf die Aussagekraft leitender Stimmen hingewiesen werden. Leitend ist dabei wörtlich zu verstehen, der höhere Status leitender Instrumente beruht auch darauf, dass ihnen die Verantwortung obliegt, ihren Mitspielern signifikante musikalische Hinweise zu geben. Ein voranschreitender Gamelan-Schüler wird sich also Stufe für Stufe vom stärker rezeptiven-rückkoppelnden zum vorgebend-verantwortungstragenden Spieler entwickeln.

Auch die Memorierung von Stücken kann Teil diese Prozesses werden, da die stärker rückkoppelnden Instrumente bei genügender allgemeiner Erfahrung und Sensibilität auch ohne eine explizite Kenntnis des Stückes zufriedenstellend ausgeführt werden können. Dabei ist wichtig zu wissen, dass Gamelan-Stücke zum großen Teil Rekombinationen von Segmenten anderer Stücke bilden und die Identität eines Stückes wesentlich in der Spezifik der Kombination solcher Segmente liegt. Zum anderen verfügen Stücke auch über kurze, außergewöhnliche Passagen, die zusätzlich als identitätsstiftend gelten können. Da solche Passagen aber nur einen kleinen Teil eines Stückes bilden, ist es bis zu einem gewissen Spielniveau möglich und sinnvoll, Gamelan-Repertoire selektiv zu memorieren. Bei den stereotypen Passagen verlässt man sich auf die Signale der leitenden Musiker, die spezifischen dagegen lernt man auswendig, da sie sich nicht aus allgemeinen Signalen ableiten lassen. Dabei sind für verschiedene Instrumente u.U. verschiedene Stellen eines Stückes außergewöhnlich, so dass die Memorierung von Stücken mit dem Erlernen neuer Instrumente differenzierter wird. Ein kenong-Spieler beispielsweise muss pro Stück normalerweise nur sehr wenige Töne spielen, und diese lassen sich im Regelfall recht einfach von bonang und rebab ableiten. Allerdings gibt es das Phänomen des Nachschlagen eines Zieltones (plèsètan), den der kenong metrisch regelmäßig, aber tonal antizipierend markieren muss. Solche Fälle sollte der kenong-Spieler memoriert haben, um seinerseits nicht falsche Signale zu geben - denn das kenong-plèsètan wird tatsächlich zu einem markanten Signal dafür, dass ein besonderer Fall, der des nachschlagenden sèlèhs vorliegt.

Entgegen dem, was man vielleicht erwarten würde, sind daher nicht unbedingt kenong und der in dieser Hinsicht ähnliche kempul frühe Lernkandidaten für tastende Schüler, sondern die motorisch anspruchsvolleren, aber tonal nachhängenden, rückverstärkenden Instrumente wie siter panerus, gendèr panerus, suling und auch das innerhalb dieser Gruppe höchstrangige gambang. Bei schnellen und lauten Passagen, wo weitgehend auswendig gespielt werden muss, schweigen diese Instrumente, und in den ausgedehnten Phasen vokaler Dominanz und langsamer Melodiefortschreitung können die Spieler ihre Stimme von den Leitinstrumenten wie rebab, bonang, gendèr und auch von den besonders gut hörbaren Vokalstimmen abnehmen. In Phasen der Ungewissheit über den weiteren Verlauf wartet ein Spieler mit neutralen Spielmustern, die keine tonale Dynamik erzeugen. Und selbst wenn die Intuition Spieler dieser Instrumentengruppe einmal fehlleiten sollte, was bei guten Spielern nur sehr selten vorkommt, führen Fehler hier kaum zu starken, nachhaltig störenden Irritationen bei den anderen Spielern.

Motorisch einfacher, aber im rückkoppelnden Spiel fehlerträchtiger, sind die Metallophone, die Träger der sog. balungan (wörtlich 'Skelett', im Gamelan-Kontext oft als 'Gerüst-' oder 'Kernmelodie' übersetzt). Zudem sorgt ein falscher saron-, demung- oder gar slenthem-Ton für wesentlich größere Störungen als etwa ein falscher sèlèh der suling. In schnellen Passagen ist es darüber hinaus fast unmöglich, die eigene Stimme vom Leiter der balungan-Gruppe, dem bonang, abzunehmen. Daher sollte ein balungan-Spieler vergleichsweise gute Kenntnisse des Repertoires haben.

Javanische Musiker sind sich häufig nicht bewusst, ob sie ein bestimmtes Stück memoriert haben oder nicht, oder sie haben ein Stück memoriert, sind sich aber etwa des Namens des Stückes nicht bewusst. Darüber hinaus ist die Erinnerung typischerweise an die Aufführungssituation und an die Rückkoppelung durch den dabei entstehenden musikalischen sowie, besonders in wayang, Tanz und bei zeremonieller Musik, außermusikalischen Kontext gebunden. Man kann immer wieder erleben, dass auch hervorragende Musiker populäre Stücke nicht spielen können, wenn sie gebeten werden, diese aus einem Aufführungskontext gelöst vorzutragen. Diese letztere Fähigkeit ist unter traditionellen Musikern als eine Sonderbegabung anzusehen, die von ehrgeizigen Musikern durch methodische Übungen untermauert wird. Solche Musiker spielen oft bonang barung, slenthem oder demung und bilden stabilisierende Stützen ihres Ensembles. Trotz der Existenz und Respektiertheit solcher, zu herausragender Gedächtnisleistung fähiger Musiker gilt aber, dass die Tradierung des musikalischen Erbes javanischer Musik wesentlich vom Fortbestehen der Ensembles abhängt, die erst als Kollektiv das notwendige Netzwerk von Rückkoppelungen schaffen, in dem das weite Repertoire ruht und bei Bedarf erweckt werden kann. Unter anderem an diesem Zusammenhang wird deutlich, wie Musik mit der Dynamik der Lebensumstände innerhalb einer Kultur verbunden ist.

Selbst in dem einen rapiden Wandlungsprozess durchlaufenden Java sind die geeigneten Rahmenbedingungen eines solchen, hier idealisiert dargestellten Lernprozesses nur selten gegeben. Um so mehr gilt das in Kulturen außerhalb Javas, so dass eine Gamelan-Didaktik dort gezielt versuchen sollte, Eigentümlichkeiten javanischer Musizierpraxis in den Lernprozess zu integrieren. Der kulturspezifische Anteil an musikalischer Intuition ist noch nicht weit in das Bewusstsein von Musikinteressierten vorgedrungen. Anders als in der Sprachdidaktik, die zunehmend kontrastiv arbeitet, und daher besonders diejenigen Phänomene der Zielsprache ins Auge fasst, bei denen der Lernende, von seiner muttersprachlich geprägten Intuition irregeleitet, zu Fehlern neigt, geht man bei der Musikwahrnehmung und im Musiklernprozess vielfach unreflektiert davon aus, dass Musik universal verständlich sei, und dass der Eindruck der Fremdheit nur eine Sache der Hörerfahrung sei, welcher sich bei genügender Gewöhnung gleichsam von selbst auflösen würde. Tatsächlich ist aber der Anteil des Kulturellen in der musikalischen Wahrnehmung sehr groß, und schon bei der Einordnung dessen, was als musikalische Erfahrung oder Aktivität zu gelten habe, würden sich im Kulturvergleich sicher für viele überraschende Unterschiede zeigen.

In westlicher Musizierpraxis, und dort besonders stark innerhalb der klassischen Tradition, ist das Konzept des angemessenen, richtigen Spiels einer musikalischen Gestalt etwas, das weitgehend in dieser Gestalt selbst ruht, so dass die Beurteilung der Angemessenheit eines Spiels aus dem hörenden Mitvollzug einer Ausführung dieser Gestalt selbst zu erschließen ist. Eine solche Gestalt, ein Motiv, ein Thema besitzt in sich selbst musikalische Identität und kann spontan wiedererkannt (oder als falsch gespielt identifiziert) werden. Nun soll keineswegs gesagt werden, dass im javanischen Gamelan nie zwischen falsch und richtig unterschieden werden könne, aber im Bereich der musikalischen Identität zeigen sich mehrere recht grundlegende Unterschiede. Zum einen sind signifikante, in sich selbst gleichsam einzigartige Identität besitzende Wendungen (Motive, Themen etc.) sehr viel weniger verbreitet und bedeutsam. Stattdessen ist der Normalfall beim Gamelanspiel die Ausführung formelhafter Melodiemodelle, die stückspezifisch in verschiedenen Rekombinationen vorliegen. Das gilt nicht nur für gendhing, sondern auch für viele dominant vokale Genres wie z.B. suluk. Der praktische Niederschlag solcher modellhafter Weisen (céngkok) im Moment der Ausführung hängt aber von vielen Faktoren ab und ein besonders interessanter ist das interaktive Moment. Wie bereits gesagt, haben viele Stimmen des Gamelan einen rückverstärkenden Charakter und damit ist impliziert, dass die Ausführung einer solchen Stimme von den Vorgaben der signalgebenden Stimme im Ausführungsmoment abhängt. In vielen Momenten einer Aufführung kann der Signalgeber zwischen verschiedenen Optionen wählen, zudem gilt etwa rebaban, der wichtigste melodische Signalgeber, innerhalb des Gamelan als vergleichsweise gestaltungsfähig, oder anders gesagt, rebaban weist eine relativ hohe Individualität und Variabilität auf – damit ist eine Beurteilung von Richtigkeit bereits problematisiert. Hinzu kommt nun, dass die Richtigkeit des Spiels der rückkoppelnden Stimmen von der Art ihrer Bezugnahme auf die Leitstimme abhängt und damit nicht mehr in sich selbst beurteilbar ist. Wir haben es hier mit zwei Phänomenen zu tun, die oft zu beiderseitiger Verwirrung im interkulturellen Lernprozess führen. Zum einen beinhalten manche Stimmen eine Variabilität, die sich von der Variabilität der Interpretation etwa einer klassischen Sonate in vielerlei Hinsicht unterscheidet – musikalische Variabilität muss mithin auch als kulturspezifisch angesehen werden. Zum anderen erweist sich die Angemessenheit des Spiels im Aufführungsmoment oft erst aus der spezifischen Wechselwirkung verschiedener Musikerpersönlichkeiten und der sozialen Einbettung einer Aufführung. Die Grenze von musikalischer Aufführung zu deren Kontext ist dabei völlig fließend. In interkulturellen Lehrer–Schüler-Gesprächen ist es daher ein oft unerkanntes Problem, dass eines Schülers Bitte um die Beurteilung der Richtigkeit der Ausführung einer bestimmten Stimme für den Lehrer deshalb nicht wirklich zu erfüllen ist, weil die an sich steuernde, korrelierende und eben variable Stimme unberücksichtigt bleibt. Umgekehrt zieht der Schüler nach der Bestätigung der Richtigkeit einer Ausführung einer Stimme leicht den Trugschluss, dass diese Stimme immer so auszuführen sei. Eine angemessene Didaktik des Gamelan muss also zwei Grundprobleme berücksichtigen, die Spezifik der Variablität einzelner Stimmen und die Relevanz der Interaktivität. Westliche Gamelan-Schüler sollten stets auf der Hut sein, nicht vorschnell anzunehmen, dass eine Stimme so und nur so zu spielen sei und sich darauf einstellen, dass das Eindringen in die Identitätsprinzipien javanischer Gamelanmusik ein langer Prozess ist, in dem immer wieder unangemessene, häufig unbewusste Vorannahmen relativiert werden müssen. Während beim Erlernen von Fremdsprachen die bezeichnete Umwelt als tertium comparationis den Lernprozess verdeutlichend unterstützen kann, ist der lernende Musiker viel stärker auf unmittelbare musikalische Resonanz angewiesen, da sich viele musikalische Phänomene, erst recht über Kulturgrenzen hinweg, einer klaren Verbalisierung entziehen.

Da die Wahrnehmung von Klang als Musik immer auf der kognitiven Verarbeitung dieses Klanges beruht, und diese in hohem Maße kulturell geprägt ist, kann im Grunde nicht vermieden werden, dass interkulturelles Lernen gewissermaßen mit einer Missinterpretation der fremden Musik beginnt. Je holistischer das Erleben der zu erlernden Musik jedoch sein kann, desto nachhaltiger werden die anfänglich unausweichlich unangemessenen Annahmen über Identität der fremden Musik korrigiert und in eine angemessenere Form der Wahrnehmung überführt. Die Notwendigkeit der immer wieder korrigierenden Neuauffassung von bereits erlernt Geglaubtem ist ein Hauptzug interkulturellen Musiklernens und häufig ein mühsamer, frustrierender Prozess, denn das einmal Erlernte weicht nur widerstrebend der neuen Einsicht. Hier sind gerade routinierte Musiker herausgefordert, die oft eine in täglicher Musikerpraxis bewährte, ausgeprägte Sicherheit für musikalische Identität besitzen - in der Begegnung mit dem musikalisch Fremden kann sich diese Fähigkeit auch als hinderlich erweisen. Die Bereitschaft, bereits innerlich geronnene, spontan aufgefasste Gestalten der fremden Musik wieder aufzugeben und aufs Neue in einen gewachsenen musikalischen Horizont einzugliedern, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für fruchtbares Erlernen einer fremden Musikkultur.

Spielweise und Zusammenspiel

ToDo: Alles ;-)